Das Global Economic Symposium 2009 – Schein und Wirklichkeit

Originalartikel unter Indymedia

Bericht über das Elitentreffen zur Rettung der Welt im Schloss Plön vom 9.-11. September, sowie den mit der Auftaktdemonstration in Kiel am Dienstag, den 8. September beginnenden Gegenaktivitäten.
„Demokratie ist das politische Ordnungsprinzip, das den freien Willen von Individuen und Gesellschaft auf das Produktivste miteinander verknüpft. Marktwirtschaft ist der zentrale Schlüssel zur Entfesselung von Produktivkräften und eine Vorraussetzung zur Verwirklichung gesamtgesellschaftlichen Wohlstands. Die Verbindung von Demokratie und Marktwirtschaft bildet das Kernelement der Zukunftsfähigkeit von Staaten.“ (Den Wandel Gestalten- Strategien der Transformation, Bertelsmann Stiftung 2001) „Durch die Unterstellung des gesamten Lebens unter die Erfordernisse seiner Erhaltung garantiert die befehlende Minorität mit ihrer Sicherheit auch den Fortbestand des Ganzen.“ (Adorno/Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, 1944) Staatstragende Festlichkeiten in der norddeutschen Provinz, sich aufgeregt anbiedernde Studierende der Sozialwissenschaften in Kiel, eingeworfene Scheiben und Politgraffiti beim Arbeitsamt, Unterrichtsausfall für zwei Propaganda Stunden an einem Plöner Gymnasium, eine begeisterte Presse und ein linksradikaler Sabotageaufruf. Je näher der Beginn des zweiten Global Economic Symposiums und der dagegen angesetzten Proteste rückt, desto höher schlagen die Gemüter an der Schleswig-Holsteinischen Ostsee. In der Kleinstadt Plön rüsten sich Polizei und Sicherheitsdienste für den Besuch von Axel Weber (Präsident der Deutschen Bundesbank), Aart de Geus (Stellvertretender Generalsekretär der OECD), Paul Bulke (Vorstandsvorsitzender Nestlé), Justin Yifun Lin (Weltbank), Jorma Ollila (Chairman, Royal Dutch Shell), Janez Potocnic (EU-Kommissar, Wissenschaft und Forschung), Josef Ackermann (Vorstandsvorsitzender Deutsche Bank) und vielen anderen „Hochkarätern“, wie Jens Paustian, Bürgermeister der Stadt Plön, gerne und stolz verkündet. In der linksradikalen Szene im benachbarten Kiel wird sich hingegen für die von der „GES Protest Koordination“ ( http://ges-ploen.blogspot.com/) ausgerufenen Aktionstage gerüstet, insbesondere für die Auftaktdemo in Kiel am 8. September (Beginn 18:00 Uhr Hauptbahnhof), sowie die dezentralen Aktionen am Freitag, den 11. September (ab 15:30 Uhr in der Plöner Innenstadt). Sowohl die GipfelveranstalterInnen wie auch die GES Protest Koordination lieferten sich im vergangenen Monat August einen regelrechten Veranstaltungsmarathon. Das ‚Institut für Weltwirtschaft’ (IfW) in Kiel, eines der wichtigsten wirtschaftlichen Beratungsinstitutionen der Bundesregierung, zog als hauptverantwortliches Organ für den Gipfel eine Werbestrategie auf, die sich vor allem an das nachrückende ‚Bildungsbürgertum’ an Universitäten und Gymnasien richtete, sowie natürlich an die lokale und bundesweite Presse. Es wurden Preisausschreiben für ‚innovative Ideen’ angesetzt, bei denen Studierende und SchülerInnen anbiedernde Aufsätze schreiben durften, die dann, als mögliche Belohnung, auf dem GES den milde und gönnerisch lächelnden Eliten vorgelesen werden. Der Presse wurde vermittelt, dass es sich hier um ein Wirtschaftstreffen von „internationalem Rang“ (Die Welt), um ein „innovatives Forum für Politik und Wirtschaft mit Relevanz für die ganze Welt“ (Die Zeit), um ein Treffen, dass die „die weltweite Zusammenarbeit von Unternehmen, Wissenschaft und Politik stärken“ soll (Hamburger Abendblatt), schlicht um ein „deutsches Davos“ (FAZ) handelt. Auf den thematischen Infoveranstaltungen der GES Protestkoordination wurde versucht, die ideologischen Phrasen des sich alternative gebenden Gipfels zu widerlegen. Es wurden sich vier Themengebiete des GES exemplarisch herausgenommen- Bildung, Umwelt, Migration, Arbeitsmarktpolitik- und über einen Monat zu jedem Thema ein ausführlicher Themenabend gestaltet (Ankündigungstexte unter http://ges-ploen.blogspot.com/search/label/Veranstaltungen ; sowie http://ges-ploen.blogspot.com/search/label/Archiv ). Gemeinsamer Nenner dieser Themenabende war die Erkenntnis, dass das GES sich als marktradikaler Think Tank der Überlagerung und Vereinnahmung von Kritik zwecks eines neuen herrschaftskonformen Diskurses widmet. Dies wird schon in der Gipfelkonzeption durch den IfW Präsidenten und GES-Direktor Dennis Snower deutlich: „Die Welt wird nach der Finanzkrise nicht mehr die gleiche sein wie vor den weltweiten Turbulenzen. Die Finanzmärkte werden zukünftig stärker reguliert sein, die steigende Staatsverschuldung wird zu neuen Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft führen, die Verlierer der Finanzkrise werden immer lauter nach staatlicher Unterstützung rufen und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der Weltwirtschaft wird mit Hinblick auf den Umweltschutz und die Entwicklung der ärmsten Länder der Welt unter einen noch stärkeren Finanzvorbehalt als bisher gestellt werden. Wir werden daher auf dem zweiten Global Economic Symposium schwerpunktmäßig an Antworten auf die globalen Herausforderungen der Finanzkrise arbeiten“. Die GES Protestkoordination und die ReferentInnen der Veranstaltungen interpretieren diese Gipfelausrichtung als elitäre und hoch autoritäre Gesinnungsanweisung, als ideologischen Neuanstrich des (be-)herrschenden Diskurses, als überarbeite Verschleierungstaktik von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen. Außerdem wurde sich ein Konzept ausgedacht, um die theoretische, ideologisch aufgeladene Agenda des GES auf seine materiellen Entsprechungen in der Wirklichkeit zu beziehen (daher auch der Kampagnenslogan „Welcome to Reality“). So wird es am Freitag dezentrale Aktionen und Kundgebungen zu den Themen Arbeit und Ausbeutung, Flucht-Migration-Abschiebung sowie Militarismus und Militarisierung der Ökonomie geben. Genaueres wird ab Dienstag bekannt gegeben werden, wie die GES Protestkoordination mitteilte. Das GES beschwört eine Art ‚globale Volksgemeinschaft’. Gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise wird wieder vermehrt ein Tenor des ‚alle in einem Boot’ bemüht, aber auch wieder nach Regeln und Ordnung verlangt. Wie der Neoliberalismus den Interventionsstaat als sozialistisches Überbleibsel und Ursache von Krise und Armut geißelte, wird nun von den selben Eliten der Interventionsstaat als Rettung vor dem Weltuntergang bejubelt- allerdings mit verkehrten Vorzeichen: nicht mehr als konsumorientierter Marktteilnehmer und Arbeitgeber wie in den Konzeptionen von Keynes, sondern als Stütze für Welthandel und als Garant der Stabilität der Finanzhäuser. Die gesellschaftspolitische Vermittlung dieses Anliegens jedoch fußt auf einem fast als unhistorisch zu bezeichnenden Blickwinkel. Sie blendet aus, dass sowohl der Interventionsstaat als auch der Neoliberalismus die Krisen nicht erst geschaffen haben, sondern zur Vermeidung von Systemkrisen der Marktwirtschaft entwickelt worden sind. Wenn der Staat technokratisch in die Ökonomie eingreift, dann verdinglicht er deren Strukturen zu immergleichen Naturgesetzen- er kann die Krisen, die er abzufedern oder zu überwinden sucht, nur verdoppeln, nur reproduzieren. Die Ursache der Krise ist der Interventionsstaat aber nicht. Die systemimmanenten Ansätze zur Milderung der systemimmanenten Probleme führen zu einer Transformation der marktwirtschaftlichen Krisen bei Beibehaltung der Grundlagen. Die Intensivierung der technischen Rationalisierung von Produktion und Absatz bleibt die Handlung bestimmende Motivation, ob sich nun die Krisenbewältigung durch den Aufbau eines Interventionsstaates oder durch dessen Abbau auszeichnet. (Vergleiche G. Stapelfeldt, „Zur deutschen Ideologie). Im GES spiegelt sich der Trend der Geistes- und Sozialwissenschaften wieder, sich ihrem Untersuchungsgegenstand- der Gesellschaft- nicht kritisch zu nähern, sondern sich im Dienst der herrschenden Verhältnisse nützlich zu machen. Durch die Anwesenheit von ‚WissenschaftlerInnen’ sollen die Programme und Postulate des GES objektiv und allgemeingültig wirken. Dass die vereinigten AkademikarInnen und ihr studentisches Fußvolk sogar in diesen Zeiten derart Systemkonform denken, obwohl sich die Herrschaft nicht mehr hinter einer das Phantom vom ‚globalen Subjekt’ freisetzenden Finanzblase verstecken kann, ist Resultat einer anhaltenden Kapitulation des Wissenschaftsbetriebes vor der Übermacht des Kapitalismus internen Rationalismus. Somit kommt Wissenschaft lediglich ihrer Aufgabe in der arbeitsteiligen Gesellschaft nach, brauchbares Material zur Erhaltung des Bestehenden zu liefern. Neuartige Erkenntnisse oder Definitionen, die nach diesen Vorraussetzungen zustande kommen, entspringen also nicht (bzw. nicht nur) ihrer objektiven Wahrhaftigkeit, sondern hängen „… unter anderem auch von Richtung und Zielen der Forschung ab, die aus ihr selbst weder zu erklären noch gar letztlich einsichtig zu machen sind.“ (Max Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie). Forschung und Wissenschaft werden durch ihre institutionelle Verwurzelung im historischen, sozialen und ökonomischen Ganzen in ihrer Ausrichtung beeinflusst, wenn nicht sogar determiniert. Kleine Leuchtfeuer-Signale, dass die Ideologieoffensive des GES nicht auf ganzer Linie erfolg haben wird, wurden auch schon auf Indymedia dokumentiert ( http://de.indymedia.org/2009/07/256161.shtml; http://de.indymedia.org/2009/09/259742.shtml ) Die Stimmung in Kiel ist gespannt und zuversichtlich, dass es dieses Jahr zu breiteren Protesten als im letzten Jahr kommen wird- auch wenn die Kommunikations- und Mobilisierungspolitik der GES Protestkoordination aufgrund personeller Engpässe erneut ein Problem darstellte. Schon ab Montag ist mit einem erhöhten DiplomatInnen und LobbyistInnen Aufkommen in Kiel und Plön zu rechnen, kritische und spontane Menschen sollten die Augen offen halten. Ab Dienstag heißt es dann: „Welcome to Reality! Abolish Capitalism- Die Ideologiemaschinerie des Global Economic Symposium in Plön sabotieren!“ „Selbst im höchstorganisierten Kapitalismus bleibt das gesellschaftliche Bedürfnis nach privater Aneignung und Verteilung des Profits als Regulator der Wirtschaft erhalten. Das heißt, er verknüpft weiterhin die Verwirklichung des allgemeinen Interesses mit der partikulärer, althergebrachter Interessen. Indem er so verfährt, steht er weiterhin dem Konflikt gegenüber zwischen dem anwachsenden Potential, den Kampf ums Dasein zu befrieden, und dem Bedürfnis, diesen Kampf zu intensivieren; […] Dieser Konflikt verewigt die unmenschliche Existenz derer, die die menschliche Basis der sozialen Pyramide bilden, die Außenseiter und Armen, die Arbeitslosen und Arbeitsunfähigen.“ (Herbert Marcuse, Der Eindimensionale Mensch)