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8.-11. September 2009: Aktionen in Kiel & Plön gegen die Ideologiemaschinerie des „Global Economic Symposiums“

Schließlich ist er doch schneller über uns hineingebrochen, als viele sich das hätten erträumen können – der finale Schlussstrich unter das Gerede vom „Ende der Geschichte“. Da sind die Zusammenhänge zwischen einer Investitionsflucht in Rohstoffe und Lebensmittel aufgrund des Platzens der globalen Spekulationsblase auf der einen Seite, und Hunger Revolten aufgrund steigender Lebensmittelpreise auf der anderen. Zu nennen auch das Verkommen der jahrelangen politischen ‚Leeren-Kassen’ Rhetorik zur zynischen Satire, angesichts der in wenigen Wochen durchgepeitschten milliardenschweren Rettungspakte für Banken und Konzerne, gegenüber der sich die menschenunwürdigen Verhältnisse durch Hartz 4 und Sozialabbau nicht einmal mehr systemimmanent rechtfertigen lassen. Und schließlich die anschwelende Massenpanik vor dem industriebedingten Klimawandel, die auch Politik und Medien längst nicht mehr ignorieren können.
Zwei Jahrzehnte lang wurden die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft zu bloßen Verwaltungsproblemen zwischen Wirtschaft und Politik verklärt; alles weitere wurde in den Bereich des ‚Clash of Civilizations’ outgesourced. Es schien nur dieses eine, sich immer wieder wechselseitig bestätigende bipolare Verhältnis zu existieren: die harmonische, rationale Welt des Marktes gegen den religiösen Fundamentalismus.
Die Eruptionen im gesellschaftlichen Gefüge des ‚globalen Marktes’ haben Risse hinterlassen, die sich durch Einheitsparolen wie „Du bist Deutschland“ oder den „War on Terror“ nicht so schnell stopfen lassen. Die offenkundigen Ungerechtigkeiten müssen durch einen neuen ideologischen Anstrich verdeckt, sowie die Bekämpfung der globalen Krisen und Katastrophen im Sinne der Herrschaftsverhältnisse in die Hand genommen werden. Der kapitalistische Diskurs nimmt Abschied von der „unsichtbaren Hand“; stattdessen verlangt er wieder nach Regeln, Ordnung, Machtkonzentration und Führungspersönlichkeiten – eine Obamaisierung im globalen Maßstab.

Wie aber wird sie aussehen, die x-te Version einer schönen neuen Welt, die gesellschaftliche Gegensätze und Kämpfe unter die Interessen der Kapitalverwertung drängt und sie somit verewigt, anstatt sich ihnen zu stellen? Die große Gemeinschaft der globalen Elite ist derzeit bemüht, einen Diskurs zu generieren, in dem „CHANGE“ als eine notwendige, durchdefinierte Kategorie sich über jeglichen Dissens und Zweifel außerhalb der gewünschten Norm legt.
Ein gutes Beispiel für solch eine Entwicklung ist das „Gobal Economic Symposium (GES)“, das vom 9.-11. September im Plöner Schloss (Schleswig-Holstein) stattfinden wird. Das GES nimmt für sich nicht weniger in Anspruch, als zu den Katastrophen unserer Zeit Lösungen zu erarbeiten: Armut, Klimakollaps, das Elend der Flucht, ‚Terrorismus‘ und zentral natürlich die Wirtschaftskrise sind Teil der weit reichenden Agenda. Ausgerichtet vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), einer der führenden wirtschaftlichen Beratungsinstitutionen für Politik und Unternehmen in Deutschland, werden an diesen drei Tagen sogenannte ExpertInnen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft über - so scheint es zumindest – die Rettung der Welt beraten. Partner des IfW und des Landes Schleswig-Holsteins bei der Ausrichtung des GES sind einige institutionelle Einrichtungen, wie die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der 30 führenden Industrienationen) oder die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften. Darüber hinaus beteiligen sich jedoch vor allem hochrangige Unternehmen: Porsche, BASF, Deutsche Post AG, Royal Bank of Scotland Group (RBS), oder Augenoptiker-Mogul Fielmann, dessen Akademie Hausherrin im Plöner Schloss und somit Gastgeberin ist. Es erstaunt angesichts solcher ‚Partner’ also nicht, dass die Problembehandlung des Gipfels auf eine im Kern marktideologische Ausrichtung sämtlicher Arbeitsfelder fokussiert ist. Nach den ‚Issues’ des GES sind es die verarmten Massen der Welt, die an die Ökonomie angepasst werden müssen- und nicht etwa die Ökonomie an die Bedürfnisse der Menschen. Sie sollen ‚höher qualifiziert’ werden, mehr ‚soziale Verantwortung im Job’ übernehmen, sich den ‚globalen Regeln des globalen Handels’ unterwerfen, nach denen dann eine ‚neue weltweite Arbeitsteilung’ konzipiert wird. Die Umwelt wird schnell zu ‚natürlichem Kapital’ erklärt. Ergänzt durch Beiträge zur ‚globalen Sicherheit’ stellt sich das GES als ein themen- und bedeutungsschwerer Think Tank dar, der über die als ‚fundierte Resultate’ getarnten Strategien den Diskurs für die Politik der Zukunft beeinflussen soll. Es sind Schlagwörter wie die ‚grüne Ökonomie’, die ‚Bildungsgesellschaft’ oder gar der ‚neue Gesellschaftsvertrag’, die - von den Medien und den politischen Parteien forciert - auf dem GES konkretisiert werden. Und so jubelt die Presse von FAZ bis Süddeutsche Zeitung schon über ein ‚deutsches Davos’ in Plön.

Davos? Die Antikapitalistische Linke verbindet mit diesem Wirtschaftstreffen in erster Linie die ‚Gipfelstürme’ der vergangenen Jahre. Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise, so die Hoffnung vieler, werde es 2009 zu einem heißen Sommer kommen: Finanzgipfel in London, Nato Treffen in Strasbourg, Krisendemos in Berlin und Frankfurt, und natürlich der G8 Gipfel in L‘Aquila. Die deutschen Krisendemos blieben weit hinter den Erwartungen zurück, und waren in erster Linie durch den Konflikt zwischen etablierter und unkonformer Linken gekennzeichnet. In London hingegen konnte stellenweise tatsächlich die Wut der betroffenen Menschen zum Ausdruck gebracht werden. In Strasbourg und L‘Aquila stießen die Bewegungen auf ein enormes Repressionsniveau, das sowohl Kritik als auch Protest weitestgehend überlagerte. Wie ‚heiß’ also war nun dieser Sommer? Ist die unkonforme Linke in der Lage, sich auf die veränderten Rahmenbedingungen eines sich verändernden Kapitalismus einzustellen- und wird sie über die Krise des Systems zu gesellschaftlicher Bedeutung zurückfinden? Unter solchen Fragestellungen möchten wir diesen Sommer für noch nicht beendet erklären. Das GES bietet die Möglichkeit zu einer anderen Herangehensweise an antikapitalistischen Protest. Jenseits der Personalisierung von Herrschaft durch die RegierungsrepräsentantInnen geht es hier um die Richtung gesellschaftlichen Denkens, um Widerspruch gegen die Vereinnahmung von Kritik durch sich alternativ gebende globale Eliten. Das vorherrschende Wirtschaftssystem kennt Vernunft nur im Sinne der Profitmaximierung; es definiert die ruinierte Umwelt bestenfalls als natürliches Kapital und Ressourcenlieferant, und die Menschen als Produktionsfaktoren, die hier mal kostenminimiert, dort mal umprogrammiert werden müssen. Die Perversion des ökonomischen Rationalismus haben gerade die GES-Partner Porsche und BASF (damals Teil von IG Farben) in ihrer Geschichte selbst demonstriert – bereitwillig profitierten sie von der NS-Zwangsarbeit, die die deutsche Wirtschaftsleistung während des 2. Weltkrieges aufrechterhielt.
Es sind nicht die Fragen des GES nach noch mehr Effizienz und Marktanpassung, die in dieser Zeit des Umbruchs gestellt werden müssen, sondern die nach dem Ende der Wirtschaftsordnung, die in das Chaos der Wirklichkeit geführt hat, sowie die nach der sinnvollen Neugestaltung unseres ökonomischen und sozialen Zusammenlebens. Um unseren Teil dazu beizutragen, dass diese Fragen gestellt werden, wollen wir nach Kräften vom 8.-11. 9. 2009 die Ideologiemaschinerie des GES sabotieren.

Beteiligt euch an den Veranstaltungen, Demonstrationen und dezentralen Aktionen rund um das GES.

Abolish Capitalism – Drown GES!

Dienstag, 8. September: Auftaktdemo in Kiel (18:00 Uhr Hauptbahnhof)
Mittwoch, 9. September: Infotag. Abends dezentrales Begrüßungsfeuerwerk für TeilnemerInnen des GES in Plön (seid kreativ)
Donnerstag, 10. September: Zeit für touristisches Erleben Plöns, Abends Chill-Out-Party in Kiel
Freitag, 11. September: Dezentraler Aktionstag in Plön (ab ca 15:30 Uhr; Auf Ankündigungen achten.)